Gemeinsamer Brief der Bürgermeister an Ministerpräsident Laschet

"Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet,

das südliche Hochsauerland, beginnend in der Gemeinde Eslohe über die Städte Schmallenberg und Winterberg bis hin zu den Städten Medebach und Hallenberg, liegt zentral in Südwestfalen, der drittstärksten Industrieregion in Deutschland. Gleichzeitig ist die Tourismusregion Sauerland die größte zusammenhängende Urlaubsregion in NRW. Was uns als Bürgermeister aktuell verbindet, ist die große Sorge, dass die lange Zeit des Lockdowns vielen Betrieben die Existenzgrundlage entziehen wird. Uns fehlen insbesondere klare Perspektiven und Öffnungskonzepte für die Tourismusbranche, die für die Attraktivität der Region und die damit verbundene Lebensqualität eine sehr hohe Bedeutung besitzt.

Dank dem Instrument der Kurzarbeit konnten viele Betriebe ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während des ersten Lockdowns im letzten Jahr an den Betrieb binden und halten. Da ein Einkommen von 60 bis 67 Prozent des Nettolohns für viele Beschäftigte mittelfristig jedoch nicht ausreichend ist, orientieren sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um und finden Beschäftigung in anderen Branchen oder anderen geöffneten Betrieben. So nimmt der Hotelkoch seine Arbeit in einem Alten- oder Pflegeheim auf, die Mitarbeiterin aus dem Einzelhandel arbeitet neu in einem Supermarkt oder der Solo-Selbstständige der Eventbranche findet eine neue Anstellung in der Baubranche.

Diese Beispiele sollen eindringlich verdeutlichen, dass selbst wenn der einzelne Betrieb die lange Zeit des Lockdowns wirtschaftlich übersteht, es für ihn mangels verfügbarer Fachkräfte schwierig bis gar unmöglich ist, an die bisherige Leistungsfähigkeit anzuknüpfen. Als Folge gehen Angebotsvielfalt und Individualität verloren. Dieser Prozess beschleunigt sich umso mehr, wenn für die einzelne Branche kein greifbarer oder nur ein vager Anhaltspunkt besteht, wie konkrete Öffnungsschritte aussehen. Nach der langen pauschalen Lockdown-Phase vermisst die Wirtschaft schmerzlich eine klug zwischen Bund und Ländern abgestimmte Politik mit einem transparenten und verbindlichem Öffnungskonzept, angepassten Hygieneregeln, Teststrategien und auch digitalen Lösungen zur Kontaktdatenübermittlung.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet, die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 3. März lassen für viele Branchen eine Perspektive vermissen. Dies betrifft im Be-sonderen die Gastronomie und Hotellerie. Im vergangenen Jahr hat sich diese Branche mit ausgezeichneten Hygienekonzepten fit für den sorgfältigen Umgang mit der Pandemie gemacht und findet sich trotzdem aktuell in einer vollkommenen Perspektivlosigkeit wieder. Uns ist die schwierige Abwägung zwischen den Gütern des Gesundheitsschutzes und der wirtschaftlichen Entwicklung durchaus bewusst. Auch besteht die Hoffnung, dass durch eine fortschreitende Impfstrategie zukünftig weitere Schritte Richtung Normalität gemacht werden. Allerdings, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, könnte es dann für viele Betriebe bereits zu spät sein! Ist ein Betrieb einmal aufgegeben, können wir mit hoher Gewissheit davon ausgehen, dass dieser dauerhaft geschlossen bleibt. Die Verödung unserer bislang gut funktionierenden Innenstädte und das Aussterben von Dorfmittelpunkten wäre die unausweichliche Folge.

Der Inzidenzwert liegt im Hochsauerlandkreis bei 75 Infizierten pro 100.000 Einwohnern (Stand: 11. März 2021). Ein genauerer Blick auf die Kreiskarte zeigt aber auch, dass sich aktuell im südlichen Hochsauerlandkreis1 bei rund 60.000 Einwohnern lediglich 14 infizierte Personen finden. Innerhalb des Hochsauerlandkreises zeigen sich zwischen den einzelnen Städten hinsichtlich des Infektionsgeschehens somit starke Unterschiede. Bei aller sicherlich berechtigten Sorge um die Gesundheit der Einwohnerinnen und Einwohner und auch bei Betrachtung des bisherigen Infektionsgeschehen wird es immer schwieriger, bei den nur wenig Infizierten in diesem Bereich die Berechtigung der vielen einschneidenden Maßnahmen des Lockdowns zu begründen. Wir sehen hier die Besonderheit eines Flächenkreises. Mit annähernd 2.000 km² Fläche ist der Hochsauerlandkreis fünfmal so groß wie unsere größte Stadt Köln. Während für Köln und die umliegenden Kreise jeweils ein einzelner Inzidenzwert betrachtet wird, wird der Hochsauerlandkreis als eine Einheit gesehen. Dies führt zu dem unsäglichen Ergebnis, dass auch die wenig betroffenen Städte und Gemeinden mit einer Gesamt-fläche von immerhin 755 km² (und damit immer noch deutlich größer als Köln), mit dem gesamten Kreis zu Maßnahmen verpflichtet sind, die durch das lokale Infektionsgeschehen weder gerechtfertigt noch erforderlich sind. Wirtschaft und Pandemiebekämpfung dürfen nicht länger gegeneinandergestellt werden. Wir möchten dringend an Sie appellieren, die unmittelbare Betroffenheit der Gewerbetreibenden vor Ort noch stärker in den Fokus zu nehmen. Es geht hier sowohl um den Schutz der Qualität unserer Innenstädte, der dörflichen Strukturen und des Tourismus. Es geht aber auch um den Schutz von Existenzen, von Arbeitgebern und Mitarbeitern.

Wir, die Bürgermeister der Städte und Gemeinden Eslohe, Hallenberg, Medebach, Schmallenberg und Winterberg, bitten Sie im Einzelnen um Folgendes:

  1. Flächengroße Kreise sind entsprechend dem Infektionsgeschehen in mehrere Einheiten zu gliedern. Innerhalb der Einheiten sind die Gegenmaßnahmen dem jeweils vorgefundenen Infektionsgeschehen anzupassen.
  2. Für alle Branchen ist die Frage der Wiedereröffnung zu beantworten, damit alle, Inhaber wie Mitarbeiter, zumindest eine zeitliche und inhaltliche Perspektive erkennen können. Auch als psychologisches Element halten wir es für enorm wichtig, dass alle Branchen in den Überlegungen und Diskussionen vorkommen. Wir unter-stellen nicht, die Landes- oder und Bundesregierung habe über Gastronomie, Hotellerie oder Eventbranche nicht beraten. Dies sollte dann jedoch auch kommuniziert werden, um dem Gefühl des Vergessens entgegenzuwirken und auch die Begründungen für die geltenden Maßnahmen erkennbar zu machen.
  3. Die Impfungen gilt es möglichst schnell auf die Fläche herauszurollen, um so möglichst schnell große Teile der Bevölkerung vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen.
  4. Die Corona-Wirtschaftshilfen, die mit viel Hoffnung verbunden waren, kommen leider nicht an den entsprechenden Stellen an, während die Kosten für die Betriebe weiterlaufen. Allen Betrieben müssen möglichst schnell die ihnen zustehenden Hilfsmaßnahmen bewilligt werden, allein um zu verhindern, dass durch den Faktor Zeit Betriebe aufgeben oder aufgeben müssen.
  5. Die Betriebe benötigen dringend transparentere Informationen und Sicherheit, dass bewilligte Unterstützungsgelder auch im Betrieb verbleiben. Nicht selten ist zu hören, dass durch die große Unsicherheit finanzielle Möglichkeiten gar nicht oder nur teilweise ausgeschöpft werden. Auch dies bedeutet am Ende Betriebsmüdigkeit, Lethargie und Verzweiflung der Inhaber.

Nur durch kurzfristige Anpassungen der aktuellen Maßnahmen, wie im vorherigen Abschnitt ausführlich dargestellt, sehen wir noch eine Chance, die Lebensqualität unserer Gemeinden und Städte im Hochsauerlandkreis, die sich durch ein Zusammenspiel von produzierenden Unternehmen, hochwertiger Gastronomie und Hotellerie, inhabergeführtem Einzelhandel und vielfältigen Kultur- und Freizeitangeboten auszeichnen, auch für zukünftige Generationen erhalten zu können."

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